Digitalisierung

Das Thema Digitalisierung ist am Fachgebiet Gasturbinen, Luft- und Raumfahrtantriebe schon seit mehr als 30 Jahren ein fester Bestandteil. Wir integrieren stets die neuesten Technologien in unsere Prozesse der experimentellen und numerischen Untersuchung von Strömungsphänomenen.

Experimente und numerische Simulationen arbeiten hierbei eng zusammen. Modernste Druck,- Temperatur- und Strömunsmesstechnik an unseren Prüfständen im Zusammenspiel mit numerischen Modellen liefern eine hohe räumliche Auflösung von Strömungphänomenen, welche eine detaillierte Untersuchung möglich macht. Der Detailgrad bringt wiederum eine äußerst große Datenmenge mit sich, die einerseits verwaltet und andererseits durch intelligente Algorithmen ausgewertet werden muss.

Verdichteruntersuchungen am Transsonischen Verdichterprüfstand 1 & 2

Zur experimentellen Untersuchung moderner Triebwerks- und Gasturbinenverdichter werden komplexe Prüfstände benötigt. Dabei müssen realitätsnahe Betriebsbedingungen eines transsonischen Axialverdichters ermöglicht, überwacht und geregelt werden. In zahlreichen Messebenen müssen verschiedenste Messgrößen erfasst werden. Für die zeitgleiche Untersuchung aerodynamischer und aeroelastischer Phänomene von modernen Verdichterdesigns sind besondere zeitauflösende Messtechniken notwendig. Transsonische Verdichterrotoren erreichen Blattspitzengeschwindigkeiten von über 400 m/s und dadurch eine supersonische Relativanströmung. Zusätzlich werden die Rotoren aerodynamisch immer höher belastet, wodurch das Verhalten an der Stabilitätsgrenze von großer Relevanz ist. Dort interagieren instationäre Strömungsphänomene mit der Struktur, wodurch hochfrequente Schwingungen induziert werden.

Um forschungsrelevante Themen in der Verdichterforschung aufgreifen zu können, wird ein breites Spektrum an Messdaten mit spezifischen, hochpräzisen Messsystemen aufgezeichnet.

Sowohl zur Online-Überwachung als auch zum Postprocessing werden über 300 Messstellen der stationären und instationären Instrumentierung synchron mit mehr als 45.000.000 Messwerten pro Sekunde aufgezeichnet und strukturiert in Datenbanken abgelegt. Um die Interaktionsmechanismen der Verdichterschaufeln zeitlich auflösen zu können, sind Abtastraten von bis zu 500.000 Hz notwendig. Automatisiertes Online-Monitoring sichert die Datenqualität während der Messkampagne. Zur gezielten Auswertung werden in-house Algorithmen und multidisziplinäre Auswerteverfahren unter Anwendung verschiedener Programmiersprachen implementiert.

Optische Messverfahren am Turbinenprüfstand 'Large Scale Turbine Rig'

Am Turbinenprüfstand 'Large Scale Turbine Rig' kommen verschiedene optische Messverfahren bei der experimentellen Untersuchung von Turbinenstufen zum Einsatz. Als erstes Beispiel soll hier das Particle Image Velocimetry Verfahren, kurz PIV, zur berührungslosen Bestimmung von Geschwindigkeitsfeldern genannt werden. Der Strömung werden hierfür Partikel zugesetzt, die anschließend mittels eines auf eine Ebene aufgefächerten pulsierenden Lasers angeregt werden. Während eines Pulses werden mithilfe einer Digitalkamera zwei aufeinanderfolgende Bilder und hiermit das von den Partikeln reflektierte Licht aufgenommen. Durch eine Korrelation der beiden Bilder kann auf 2D-Strömungsfeldinformationen geschlossen werden. Die Auswertealgorithmen beinhalten eine Vielzahl von digitalen Signalverarbeitungsschritten, die sehr rechenintensiv sind. Hierbei kommen Ansätze aus verschiedensten Bereichen des Image-Processing zum Einsatz, die bei der Auswertung ganzer Strömungskonfigurationen in einer Turbomaschine, eine herkömmliche Workstation schnell an ihre Grenzen bringt. Großer Speicherbedarf und hohe Prozessorleistung müssen hierbei gegeben sein.

Ähnlich zur Untersuchung mithilfe des PIV-Verfahrens fallen bei Wärmeübergangsuntersuchen am LSTR zweidimensionale Thermogramme an, die in eigens entwickelten Auswerteroutinen zu den gesuchten Thermalgrößen zurückgeführt werden. Hierbei durchlaufen die Thermogramme zunächst eine örtliche Kalibration, um die untersuchte Oberfläche in der Turbine den einzelnen Pixeln der Kamera zuzuordnen. Hierbei wird mit Projektionsmethoden gearbeitet, um die Transformationsmatrizen zu ermitteln. Die Methode beinhaltet auch eine Linear-Fit-Methode für jedes einzelne Pixel der Kamera, bei der eine ganze Reihe an Thermogrammsequenzen verarbeitet werden. Dieses Processing ist rechenintensiv und kann durch entsprechend effizientes Programmieren (Stack- und Matrixverarbeitung) deutlich beschleunigt werden. Die Anwendung paralleler Programmieransätze könnte hier zukünftig zur deutlichen Reduzierung der Auswertezeiten führen.

Die Ansätze, welche in der Verarbeitung der genannten optischen Messverfahren Anwendung finden, sind artverwandt zu denen, die beispielsweise bei der Verarbeitung von Sattelitenaufnahmen oder aus dem Bereich des autonomen Fahrens genutzt werden. Bei allen genannten Messsystemen fallen immense Datenmengen an, welche auf zentralen Festspeichersystemen archiviert werden.

Digital Twin

Die örtliche und zeitliche Entwicklung von Strömungsphänomenen, welche über die implementierte Messtechnik entweder gar nicht oder nur lokal begrenzt erfasst werden können, lassen sich über ein numerisches Modell sehr gut bestimmen. Erst durch die zusätzliche Anwendung eines numerischen Modells ist dann eine zusammenhängende Interpretation der Stall beinflussenden Strömungsereignisse und der verlustverursachenden Mechanismen möglich.

Im Rahmen der interdisziplinären Forschung am Fachgebiet Gasturbinen, Luft- und Raumfahrtantriebe werden parallel zu den Messkampagnen an unseren Prüfständen auch numerische Simulationen der vermessenen Verdichter- und Turbinenkonfigurationen durchgeführt. Um die Messergebnisse möglichst genau nachvollziehen zu können, sind numerische Modelle erforderlich, die einen hohen Detailgrad aufweisen und sämtliche Geometriefeatures mitberücksichtigen. In den letzten Jahren wurden beispielsweise ein Digital Twin des Large Scale Turbine Rig (LSTR) aufgebaut, der es nun ermöglicht, die Turbinenströmung samt Brennkammer-Swirl und Kühllufteinblasung numerisch vorherzusagen.

Brennkammer-Turbine-Interaktion

Um die NOx-Emissionen moderner Flugtriebwerke weiter zu senken, kommen unter anderem neuartige Brennkammer Konzepte zum Einsatz. Diese sind durch eine stark verdrallte Strömung, Temperaturungleichförmigkeiten und hohe Turbulenz am Brennkammeraustritt charakterisiert. Alle diese Phänomene haben einen negativen Einfluss auf den Wirkungsgrad und die Lebensdauer der stromab liegenden Hochdruckturbine. Die Wechselwirkungen beider Komponenten Brennkammer und Turbine und vor allem die Auswirkungen von Variabilitäten in den Strömungsfeldern an der Brennkammer-Turbine-Schnittstelle auf die Strömung in der ersten Stufe der Hochdruckturbine sind noch nicht vollständig verstanden. Durch die sehr hohen Fluidtemperaturen am Brennkammeraustritt, sind detaillierte Messungen unter realen Bedingungen sehr begrenzt umsetzbar, da diese deutlich oberhalb der Schmelztemperatur der meisten Metalle liegen. Daher spielen numerische Simulationen eine sehr wichtige Rolle bei Untersuchungen an der Brennkammer-Turbine-Schnittstelle.

In diesem Zusammenhang wurde am Fachgebiet Gasturbinen, Luft- und Raumfahrtantriebe in Zusammenarbeit mit Rolls-Royce Deutschland ein Programm entwickelt, mit welchem geschlossene Eintrittsrandbedingungen für RANS CFD von Hochdruckturbinen erstellt werden können. Dabei werden die zweidimensionale Verteilungen von Geschwindigkeit, Druck, Temperatur und turbulenter Größen mittels Parameter erzeugt. Auf diese Weise ist es möglich, flexibel Änderungen an der Randbedingung vorzunehmen und es können Sensitivitätsstudien der Turbine gegenüber Variationen in der Eintrittsrandbedingung durchgeführt werden. Diese Studien sollen anhand von möglichst realitätsnahen Eintrittstraversen erfolgen. Daher ist es von großer Relevanz die parametrisierten Felder an Referenztraversen anzugleichen. Dies erfolgt unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz. Ein Optimierungsalgorithmus testet dabei tausende Parametersätze und findet denjenigen, welcher die Referenztraverse am besten wiedergibt.

Diese Kombination aus fundamentalen Methoden der Aerodynamik und modernster Technologie trägt dazu bei, die Effizienz der nächsten Generation Flugtriebwerke zu steigern und hat somit einen Beitrag an der Entwicklung von umweltfreundlichen Flugantrieben der Zukunft.

Verdrallte Strömung am Eintritt einer Hochdruckturbine
Verdrallte Strömung am Eintritt einer Hochdruckturbine

Anwendung evolutionärer Algorithmen aus dem Bereich des Maschinellen Lernens

Am Fachgebiet Gasturbinen, Luft- und Raumfahrtantriebe werden aerodynamische Optimierungen von Verdichtern bei gleichzeitiger Betrachtung der Strukturmechanik durchgeführt. Dabei wird versucht, die Geometrie des Verdichters so zu verändern, dass aerodynamische Größen wie Wirkungsgrad oder Kennfeldbreite maximal werden. Gleichzeitig werden Spannungen und Eigenfrequenzen des Verdichters überprüft, um die strukturelle Integrität der optimierten Geometrie weiterhin gewährleisten zu können.

Für die Optimierungen werden moderne, evolutionäre Algorithmen verwendet. Solche Algorithmen haben den Vorteil, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit das globale Maximum innerhalb des Parameterraumes zu finden. Im Vergleich dazu tendieren Gradienten basierte Methoden dazu, abhängig von der Startlösung, nur ein lokales Maximum des Parameterraumes zu finden. Der große Nachteil der evolutionären Algorithmen ist die große Anzahl benötigter Funktionsaufrufe, bis die Optimierung konvergiert ist. Im Fall einer Verdichteroptimierung bedeutet ein Funktionsaufruf die Evaluierung verschiedener aerodynamischer Größen, wie beispielsweise des Wirkungsgrads. Solche Evaluierungen sind nur mittels CFD-Simulationen möglich, welche, in Abhängigkeit der betrachteten Geometrie und Ziele, mehrere Stunden dauern können. Da evolutionäre Algorithmen mehrere tausend, wenn nicht sogar mehrere zehntausend, Funktionsaufrufe benötigen, und auch heutzutage die verfügbaren Rechnerkapazitäten begrenzt sind, ist die Anwendung von evolutionären Algorithmen ohne weitere Hilfsmittel für Verdichteroptimierungen nur schwer anwendbar.

Das Hilfsmittel sind moderne Algorithmen aus dem Bereich des Maschinellen Lernens. Mit Hilfe solcher Algorithmen werden Ersatzmodelle (Response Surface Models, RSM) erzeugt. Basierend auf einer großen Datenbasis, welche mehrere hundert Verdichtergeometrien mit ihren entsprechenden aerodynamischen Größen enthält, werden die Ersatzmodelle trainiert. Anschließend ist es möglich, für neue, unbekannte Verdichtergeometrien die entsprechenden aerodynamischen Größen mittels des Ersatzmodelles innerhalb von Sekunden vorherzusagen, ohne CFD-Simulationen durchführen zu müssen. Moderne Algorithmen des maschinellen Lernens ermöglichen somit die Durchführung von Optimierungen, welche ohne die Verwendung solcher Ersatzmodelle viel zu große Rechenzeiten hätten.

Darüber hinaus ermöglichen die trainierten Ersatzmodelle zum Beispiel Aussagen über den Einfluss der zugrundeliegenden Geometrieparameter auf aerodynamische Größen (Varianzanalyse). Oder es lassen sich neue Modelle erzeugen, welche auf Basis des Strömungsfeldes Aussagen über globale Größen des Betriebsverhaltens erlauben. Die Anwendungsmöglichkeiten sind breit gefächert und es Bedarf der Fantasie des Ingenieurs, diese voll zu nutzen.